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Ganz allgemein kann man sich für den Reitunterricht an zwei Kernsätzen orientieren. Zum einen gilt: „Die Aufgabe wird nur so gut wie die Vorbereitung gewesen ist.“ Das kann man übertragen auf einzelne Lektionen. Wenn das Schulterherein nicht gut genug gelingt, wird man viele Ursachen dafür in der Vorbereitung dieser Lektion finden. Das kann man aber auf viele andere Bereiche übertragen. Zum Beispiel auf das Turnierreiten, auf einen Einzelsprung, eine Hindernisfolge oder einen ganzen Parcours. Wenn etwas nicht gelingt, muss die Frage sein: Wie war meine Vorbereitung Da findet man immer Verbesserungspotential.

Die Dosierung macht das Gift

Zum anderen gilt: Die Dosierung macht das Gift oder die Medizin. Die Ausbilderin oder der Ausbilder muss wissen, wie viel sie oder er im Reitunterricht, wovon und in welcher Abfolge verlangen kann. Der Unterricht sollte fördernd und fordernd genug sein, aber nicht überfordernd. „Das zeichnet guten Unterricht aus“, betont BBR-Vorstandsmitglied Markus Scharmann. Guter Unterricht misst sich aber auch daran, inwieweit der Ausbilder oder die Ausbilderin das was er oder sie unterrichtet auch selbst lebt. Wenn der Schüler einen Reithelm tragen, ruhig und geduldig mit dem Pferd umgehen, auf die Wortwahl achten und selbstkritisch mit sich umgehen soll, muss der Ausbilder oder die Ausbilderin das vorleben. Das gilt auch für den Unterricht selbst. Menschen machen Fehler. Auch solche, die ausbilden. „Wenn ich als Ausbilder im Unterricht ,falsch abgebogen bin‘, merkt das der Schüler auch. Also ist es doch besser, darüber zu sprechen und für die nächste Trainingseinheit ein besseres Vorgehen zu vereinbaren. So lebe ich als Ausbilder eine gesunde selbstkritische Haltung vor.“

Großes Thema im Reitunterricht: passend zum Sprung

Eines der häufigsten Themen beim Springen ist das passende Anreiten eines Sprungs. Dazu sagt Markus Scharmann ganz klar: „Ich spreche so gut wie nie über die Distanz, ob es zu dicht war oder zu weit. Ich spreche immer über die Vorbereitung. Wenn der Reiter oder die Reiterin die richtige Absprungdistanz treffen soll, geht das nur, wenn er oder sie über ein gutes Distanzgefühl verfügt. Ein Gefühl lässt sich nicht an und abstellen. Das kann ich auch im Reitunterricht nicht direkt und unmittelbar vermitteln. Ich kann aber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein Distanzgefühl entsteht.“ Ein Gefühl für etwas baut sich aus der Routine heraus auf.

Routine entsteht, wenn man den Reiter immer wieder in wiederkehrende vergleichbare Situationen bringt. Diese Situationen kann die Ausbilderin oder der Ausbilder herstellen. Dazu muss man sich auf die Vorbereitung konzentrieren. Wenn der Anreiteweg, das Tempo und der Rhythmus in Ordnung sind und wenn sich Reiter und Pferd im Gleichgewicht befinden, wird das zu einer geeigneten Absprungdistanz führen. Die ist dann vielleicht nicht perfekt, aber doch so, dass Pferd und Reiter einen ordentlichen Sprung absolvieren. Aus der Wiederholung entsteht dann nach und nach das Gefühl für die richtige Distanz. Dabei ist aber wichtig, dass der Reiter auf die Aspekte Anreiteweg, Tempo, Rhythmus und Gleichgewicht fokussiert bleibt. Wenn der Ausbilder innerhalb dieses Trainings die richtige Absprungdistanz thematisieren würde, würde er damit den Fokus des Reiters genau darauf lenken. Die Folge: Die Umsetzung leidet. Die Absprungsituation wird schlechter. Daher gilt: Die Absprungdistanz sollte erst Thema sein, wenn der Reiter über ein sicheres Distanzgefühl verfügt.

Der Standort der Ausbilderin/des Ausbilders ist entscheidend

Für den Ausbilder ist im Reitunterricht im Allgemeinen und im Springen im Besonderen auch sein Standort entscheidend. Der oder die Unterrichtende sollte sich an einen Punkt stellen, von dem aus man alles gut sehen kann, von Beginn der Übung bis zum Ende, die inneren und äußeren Hilfen. Im Dressurunterricht ist der geeignete Ausgangspunkt auf dem zweiten oder dritten Hufschlag bei E oder B.

Beim Springen selbst kann es helfen, wenn der Unterrichtende links oder rechts als optische Begrenzung am Sprung steht, je nachdem aus welcher Wendung das Hindernis angeritten wird. „Bei einem ganzen Parcours macht es Sinn, sich in dem Teil zu positionieren, der am herausforderndsten ist. Dort kann man den Reiter ggf. unterstützen und man kann alles gut einsehen, um anschließend die richtigen Informationen geben zu können“, so Markus Scharmann.

Reitschüler mit Angst

„Angst ist erst einmal etwas Gutes“, betont der Pferdewirtschaftsmeister. Jeder hat Angst – es geht vielmehr darum, wie man mit der Angst umgeht und ob man handlungsfähig bleibt. Denn aus der Angst heraus wird man in den meisten Fällen handlungsunfähig oder man agiert übertrieben, sanktioniert das Pferd übertrieben oder hält es fest. „Man sollte sich der Angst positiv zuwenden und schrittweise lernen, damit umzugehen“, so Scharmann. „Der erste Schritt ist, sich einzugestehen, dass man Angst hat und meine Aufgabe als Ausbilder ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Reiterin oder Reiter sich gut aufgehoben fühlt. Ich muss mich einem ängstlichen Reiter positiv zuwenden und ihn ernst nehmen. Man kann gemeinsam erörtern, woher die Angst kommt. Hilfreich kann dann sein ein Worst Case-Szenario zu skizzieren. Dabei wird festgelegt, wie man mit bestimmten angstmachenden Situationen umgeht. Auch ist es wichtig, kleinschrittige und leistbare Aufgaben zu entwickeln. Daraus entsteht Vertrauen, und daraus Zutrauen.“

Eine Aufgabe zu zergliedern kann ebenfalls helfen. Hat jemand Angst, einen ganzen Parcours zu bewältigen, stellt man zunächst die einzelnen Sprünge als Aufgabe und fügt sie anschließend zusammen. „Häufig habe ich aber auch den Fall, dass Einzelsituationen super klappen, aber dann im Parcours alles durcheinander geht. Meistens weil der Reiter schon bei Sprung eins an Sprung acht denkt. Dann muss ich den Parcours in Teilaufgaben aufteilen und den Reiter dabei unterstützen, dass der Fokus auf die Teilaspekte erhalten bleibt. Jeder Parcours hat „Inseln“, auf denen man den Galopp wiederherstellen kann, auf denen ich arbeiten kann. Diese Inseln sind die Punkte, an denen sich der Parcours zergliedern lässt“, erklärt Markus Scharmann.

Gute Erfahrungen und Wertschätzung

„Für mich ist wichtig, dass Pferd und Reiter am Sprung eine gute Erfahrung machen und sich wohlfühlen. Je öfter Pferd und Reiter eine positive Erfahrung machen, desto selbstverständlicher absolvieren die beiden die Aufgabe. Damit das gelingt ist die Vorbereitung entscheidend. Denn die Aufgabe wird nur so gut wie die Vorbereitung gewesen ist.“

Wertschätzung ist das Stichwort für Markus Scharmann: „Je wertschätzender ich bin, je besser es mir gelingt mich auf die Reiter und Reiterinnen mit ihren Stärken und Herausforderungen einzulassen und ihnen weiterzuhelfen, umso besser fühlen sie sich aufgehoben. Das erzeugt Kundenbindung und Kundeninteresse.“

 

 

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Erschienen auf den Gelben Seiten im St.GEORG 6/2024