Skip to main content

Fachsprache im Reitunterricht hilft dabei, Inhalte und Informationen zu transportieren. Denn Reiten ist komplex und es zu unterrichten sehr anspruchsvoll. Nur: Fachsprache geht mehr und mehr verloren.
„Hände tief!“, „Schwer einsitzen!“, „Stell ihn richtig durch!“, „Bein dran!“ – solche oder so ähnliche Kommandos hört man im Reitunterricht landauf, landab. Es sind Begriffe und Ausdrücke, die sich in der Kommunikation zwischen Ausbilderinnen, Ausbildern und Reitschülern eingebürgert haben. In der Fachliteratur sind sie so nicht zu finden. Viele können damit etwas anfangen und sie im Sattel richtig umsetzen. Nur: Viele können es eben auch nicht. Der gewünschte Effekt bleibt aus. Im schlimmsten Fall verkrampft sich die Reiterin oder der Reiter bzw. wirkt falsch oder zu hart auf das Pferd ein.

Fachsprache für eindeutige Kommunikation

Fachsprache kann das verhindern: „Mithilfe von Fachsprache habe ich die Möglichkeit, einheitliche verbindliche Sachzusammenhänge für eine komplexe Materie zu übermitteln“, betont Hannes Müller, Erster Vorsitzender der BBR, „und ich kann im Unterricht präzise und eindeutige Infos geben. Eine eindeutige Kommunikation verhindert Missverständnisse und transportiert Inhalte.“

Der springende Punkt ist, dass nicht nur der oder die Unterrichtende Fachsprache beherrschen muss, sondern auch die Reitschülerin oder der Reitschüler. Wer im Sattel sitzt, muss gelernt haben, was die Fachbegriffe bedeuten und die Ausbilderin oder der Ausbilder muss eine Grundlage geschaffen haben, auf der Fachsprache angewendet werden kann. „Fachsprache zu gebrauchen, setzt immer voraus, dass alle Beteiligten sie beherrschen und sich über die Interpretation im Klaren sind“, bringt es Gabriele Nimsky-Magnussen auf den Punkt. Die Pferdewirtschaftsmeisterin, Bewegungstrainerin EM und Neuro Rider-Trainerin sagt: „Fachsprache muss erlernt werden – theoretisch und praktisch. Es ist nicht jedem von vornherein klar, was die Begriffe bedeuten. Als Ausbilderin muss ich unsere Fachsprache während der Reiteinheit erst einmal erläutern. Dann hole ich mir das Feedback des Schülers ein und frage, ob er das verstanden hat, ob er mir folgen kann und versteht, was ich von ihm möchte. Fachsprache ermöglicht, dass ich als Reiter kompatibel bin, bei verschiedenen Ausbilderinnen und Ausbildern zu reiten, weil alle dieselbe Sprache sprechen.“

 

Erklärungen fehlen

Ein Grund, warum Fachsprache mehr und mehr verloren geht: Die Begrifflichkeiten werden nicht mehr erklärt. Wenn jemand in Fachsprache unterrichtet, sie der Schülerin oder dem Schüler aber nicht erklärt, gibt es unterschiedliche Reaktionen, die nicht den Inhalt treffen. Vielleicht wird Fachsprache auch weniger, weil mehr und mehr nicht ausgebildete Reitlehrerinnen und Reitlehrer Unterricht geben und dadurch eine andere Sprache im Umlauf ist. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Sprache sich verändert und die Fachbegriffe von umgangssprachlichen Ausdrucksformen abgelöst werden. „Fachsprache ist eine gewachsene Struktur, die sich über die Jahrhunderte entwickelt hat“, erläutert Hannes Müller. „Es sind Begrifflichkeiten, die sich sprachlich auch verändert haben. Gustav Steinbrecht beispielsweise hat Gelenke noch ,gebogen‘, wir ,beugen‘ sie. Disziplinübergreifend gibt es unterschiedliche Begriffe, Hufschlagfiguren heißen beispielsweise im Westernreiten Manöver. Das anpassen zu wollen, wäre Wortklauberei. Das sind in der jeweiligen Reitweise etablierte Begriffe, die man lernen muss, wenn man sich in diesem Bereich bewegen will.“

Verschiedene Kanäle

Um jemanden zu unterrichten, gibt es verschiedene Kanäle: Augen (visuell), Ohren (akustisch), Haut (taktil) und das Gefühl (emotional). Am effektivsten lernt man, wenn alle Kanäle miteinbezogen werden. Fachsprache zu verwenden bedeutet dabei nicht automatisch, nicht kreativ sein zu dürfen. Fachbegriffe müssen nicht platt und langweilig wiedergegeben werden, eine bildhafte Sprache macht den Unterricht interessant und vereinfacht es häufig, Inhalte zu vermitteln.

„Auf dem Weg zum Ziel, kann man viele Interpretationen nutzen“, so Gabriele Nimsky. „Nur: Bilder sollen nicht dazu führen, dass der Reiter sich verkrampft. Ausbilder sollten in der Lage sein, zu erkennen in welcher Art und Weise der Schüler abgeholt werden kann. Es kann Sinn machen, eine Erklärung zu versinnbildlichen zum Beispiel für jemanden, der noch nicht viel Erfahrung hat. Häufig ist allerdings die Komplexität im Wort nicht zu erkennen. Den Begriff ,halbe Parade‘ kann ich erst verwenden, wenn mein Schüler sie in ihrer Gesamtheit verstanden hat. Dafür muss ich sie zunächst aufschlüsseln und die Details erklären, woraus sie sich zusammensetzt und wie der Reiter das individuell ansteuern kann: das Becken kippen, die Wade einsetzen… Ich muss die Details üben, um in der Gesamtsumme das zu erreichen, was ich reiterlich möchte.“

Ist Umgangssprache hilfreich?

Bildsprache ist das eine – das andere ist, Sprache zu vereinfachen bzw. umgangssprachliche Formulierungen zu verwenden. „Jeder Ausbilder ist ja auch in gewisser Weise Animateur“, gibt Hannes Müller zu Bedenken, „Und jeder möchte ein Alleinstellungsmerkmal. Man hat vielleicht das Bedürfnis, cool zu sein. So entwickeln sich individuelle Formulierungen und teilweise saloppe Umgangssprache. Sprachverhalten oder auch Sprache generell ist einem Wandel unterlegen. Das ist alles gut, Metaphern helfen grundsätzlich bei der Präzision. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch die Vereinfachung Sachverhalte über Bord werfen.“

Dazu Gabriele Nimsky: „Ich finde eine individuelle Ausdrucksweise gut, manchmal versteht man bei jemand anderem etwas besser, weil er es anders formuliert. Es geht aber immer um den Bezug: Man sollte wissen, was sich dahinter verbirgt. Und immer wieder zurückkommen auf den Begriff in der Fachsprache. Und man muss bedenken: Jargon hat zur Folge, dass es nicht mehr einheitlich ist. Außerdem ist wichtig, dass es nicht stereotyp wird. Ich sollte nicht immer dieselbe Anweisung wiederholen. Wenn eine Aussage nicht zum Erfolg führt, muss ich sie durch Erklärungen und Fachbegriffe ergänzen.“

Am Ziel vorbei

Einige Beispiele, bei denen die Vereinfachung der Sprache nicht zielführend ist: „Gib mehr Bein“: „Dieser Ausdruck ist eine Verballhornung der treibenden Hilfen“, so Hannes Müller, „Schenkel, Wade, Sporen, ganzes Bein – in der Fachsprache habe ich viel mehr präzisere Möglichkeiten. Wenn ich das so grob und vereinfacht benenne, löse ich Reflexe beim Reiter aus und provoziere im Zweifel einen klemmenden Sitz. Die Differenzierung in der Sprache ist von Bedeutung.“
„Schwer einsitzen“: „Das ist eine aktive Aufforderung etwas zu tun, löst aber in der Wahrnehmung Verkrampfungen, falsche Aktionen und mitunter merkwürdige Verrenkungen aus“, gibt Hannes Müller zu Bedenken. „Ich habe ein Gewicht und das kann ich nicht verändern, ich kann aber den Spannungsbogen verändern und Gewicht kann unterschiedlich eingesetzt werden. Der Wunsch nach Körperspannung wird mit schwer einsitzen betitelt, aber Elastizität hat nichts mit schwer sitzen zu tun.“

Gabriele Nimsky betont: „Man muss dieses ,schwer sitzen‘ erklären. Also dass der Reiter sein Becken kippen soll, damit das Pferd sein Becken kippt und die Hanken beugt, und man muss es mit einer Funktion verbinden: Was will man erreichen? Im Sinne des Bewegungstrainings, frage ich immer: Was machst du beispielsweise beim Durchparieren? Da kommen die wildesten Beschreibungen… aber die Reiter fassen in Worte, was sie glauben, was sie tun. Das ist schon mal gut. Dann sollen sie überlegen, wohin sie wollen, und dann kommen wir dahin, die Details aufzuschlüsseln. Du bist und du bleibst 50 Kilogramm schwer, wie soll das Pferd verstehen, was du veränderst? Wenn der Reiter das erklären kann, sind wir schon einen großen Schritt weiter.“

 

„Durchstellen und durchtreiben“

„Das Pferd durchstellen/durchtreiben“: „Hier muss der funktionale Hintergrund erläutert werden“, so Hannes Müller. „Der Ausdruck darf nicht zum übermäßigen Treiben oder zum übermäßigen Gegenhalten führen. Das Stellen hat eine klare Definition und beim ,Durchstellen‘ steht das handwerkliche Vorgehen im Vordergrund, bringt aber im Zweifel keinen Fortschritt.“

„Sitz gerade“: „Eine aufrechte Körperhaltung mit Körperspannung ist grundsätzlich nichts schlechtes. Man darf aber nicht vergessen, dass die Beckenstellung darüber entscheidet, was gerade ist. Die eigene Wahrnehmung kann da sehr unterschiedlich sein und die Außendarstellung entspricht häufig nicht dem Gefühl derjenigen, die im Sattel sitzen. Hier müssen Wahrnehmung und Funktionalität im Vordergrund stehen. Um im Gleichgewicht und funktional sitzen zu können, muss das Bewegungszentrum Becken in Harmonie mit dem Bewegungszentrum Rücken sein“, so Hannes Müller.
Zum Ausdruck „Gas und Bremse“ sagt er: „Das ist eine saloppe Bemerkung, die aus der technisierten Wahrnehmung unserer Kulturlandschaft aufs Pferd übertragen wurde. Sie wird dem Anspruch, den wir damit verknüpfen, nicht gerecht. Es spiegelt die Komplexität nicht wider. So einfach ist Reiten nicht. Es geht dabei um die Regulierung zwischen aufnehmenden und vorwärtstreibenden Hilfen, durch die man das Pferd in einen positiven Spannungsbogen und in ein Gleichgewicht mit dem Reiter bringt.“

Neue Begriffe

Nicht nur im Bereich der Ausbildung, auch in dem der Ausrüstung lohnt es sich, einmal einen Blick auf die Fachbegriffe zu werfen. Einige haben sich verändert, einige irreführende sind geblieben oder neu hinzugekommen. Aus der Knebel- ist eine Schenkeltrense geworden, weil der Einsatz dieses Gebisses nichts mit knebeln zu tun hat, im Gegenteil: die Schenkel sorgen dafür, dass das Gebiss stabiler im Pferdemaul liegt. Irreführende Begriffe wie „Korrekturgebiss“ oder „Babykandare“ gibt es dagegen weiterhin – da gilt es zu wissen, dass ein Gebiss kein Pferd korrigieren kann, das muss immer noch der Reiter im Sattel tun. Eine Babykandare gehört nicht in Einsteigerhände und kann genauso scharf wirken wie eine Kandare mit längeren Anzügen.

Eine „Longierhilfe“ – die Kordel, die auf dem blanken Pferderücken zwischen den Vorderbeinen hindurch im Gebiss verschnallt wird – ist nur für den Longenführer eine ,Hilfe‘, weil sie schnell angebracht ist. Für die Ausbildung ist sie unsinnig, weil sie voll mechanisch wirkt. „Beim Longieren hilft mir nur meine Stimme, die Longe, die Peitsche und mein Können“, so Hannes Müller. Gebisse mit Zungenfreiheit sind nicht per se pferdefreundlicher, nur weil sie ,Freiheit‘ versprechen. „Zungenfreiheit ist ein geschönter Begriff, der einen Bogen im Gebiss umschreibt, der vermeintlich Platz schafft. In Wirklichkeit aber der Zunge weniger Platz bietet“, erklärt Hannes Müller. Er gibt aber auch zu Bedenken: „Ein Begriff wie ,Gebisswölbung‘ ist nicht etabliert, die ,Zungenfreiheit‘ aber ist es. Aus welchen Gründen sollte ich das dann umbenennen? Wichtig ist doch, dass ich den Begriff kenne und weiß, welche Funktion er hat. Deshalb muss ich Fachsprache lernen.“

Peitschenschlag oder lieber Peitschenschnur?

Vor dem Hintergrund der Social Licence und der öffentlichen Wahrnehmung des Reitsports wird auch diskutiert, ob der Peitschenschlag – das bewegliche Ende der Peitsche – nicht besser „Peitschenschnur“ heißen sollte, um nicht zu suggerieren, das Pferd würde damit geschlagen. Und würde es Reiterinnen und Reitern besser zu Gesicht stehen, wenn sie die Steigbügel nicht mehr „überschlagen“, sondern „überlegen“?

„Ich finde, es gibt durchaus Begrifflichkeiten, die man hinterfragen muss, aber bei Peitschenschnur und Bügel überlegen wird es albern. Heißt Social Licence, dass ich mich dem Mainstream anpassen muss? Das treibt dann irgendwann Blüten… Ich finde es schwierig, wenn ich Dinge nicht mehr benennen kann. Wenn es öffentlichen oder generellen Sprachdruck gibt, muss man das vernünftig besprechen und sich gegebenenfalls verabreden, Begrifflichkeiten in den nächsten Richtlinien zu verändern. Wichtig ist doch, dass man eine allgemeingültige Benennung hat – unsere Fachsprache – und die von den Berufskolleginnen und -kollegen gelehrt und weitervermittelt wird. Das hat auch etwas mit Professionalität zu tun.“

Erschienen im St.GEORG 6/2023